Schwere Gewitter, großen Hagel und Tornado

Für heute waren wir vorab gar nicht mal so schlecht positioniert. Daher konnten wir ganz gemächlich die Koffer packen und losfahren. Wir wählten das 70 Meilen entfernte Seiling als vorzeitige Position zum Warten, da diverse Straßen sternförmig in diesem Ort zusammenliefen und wir uns dadurch alle Optionen offen hielten. Es war schwül-heiss, bei knapp 30 °C und einem Taupunkt von 20,5 °C. Allein der Luft nach lag die Vermutung sehr nahe, dass es heute schwere Gewitter geben würde. Aber wo gehen die ersten Zellen hoch, bevor das ganze verclustert und dann sehr nass und nicht mehr fotogen wird.

Wir verlegten noch ein Stück nach Nordosten und warteten in dem kleinen Ort Fairview auf die Auslöse der Gewitter. Allzulange brauchten wir heute nicht warten. Kurz nach 14 Uhr begann es bereits am Himmel mächtig an zu brodeln. Keine Stunde später schoss die erste Zelle vor uns hoch. Das Chasing konnte beginnen. Wir hatten uns genau richtig zur Zelle positioniert, man muss eben auch mal Glück haben. Wir konnten die Zelle von ihrer Schokoladenseite (Südost) aus anfahren. Nur wenige Meilen vom Niederschlagskern entfernt hielten wir, bauten unsere Stative auf und beobachteten die Dynamik der Zelle.

 

 

Hier eine kurzlebige Absenkung, da ein Funnel, hier kurzzeitige Rotation, da aufsteigende Fracti. Wir standen wirklich genau richtig. Nun bildeten sich rasch weitere Zellen im Südwesten. Eine Linie entstand, und sie kam langsam auf uns zu. Der Wind drehte und wurde langsam aber sicher kühler. Outflow.

Wir mussten los. Wir drehten und fuhren nach Süden aus der Squalline heraus. Über uns wurde es wieder heller, aber hinter uns war der Himmel schwarz geworden. Trotzdem hatten wir keine Eile, denn die Linie zog entlang ihrer Achse nach Nordosten. Wir nahmen wieder Kurs West; wieder nah ranfahren. Der Regen fing an. Wir suchten uns eine Möglichkeit zum Anhalten und warteten ab. Eine kleine Zelle der Linie zog über uns. Die ersten Hagelsteine prasselten auf unsere Autos, vielleicht um die 2 cm groß. Gott sei Dank nicht größer. Der Niederschlag ließ wieder nach, wir konnten weiter. Wir hatten die Zelle am südwestlichen Ende der Linie im Visier. Bei ihr wurde Rotation angezeigt. Wir stoppten noch einmal. Da lag doch etwas Weißes im Gras neben der Straße!? Tatsächlich, Hagelsteine! Bis etwa 7 cm große Dinger!

 

Die Zelle, zu der wir wollten, war schon am Horizont zu sehen. Sie hatte eine ausgeprägte Wallcloud an ihrer Unterseite. Wir stellten unsere Autos an einer Einmündung zu einem Feldweg ab. Von rechts zogen lange Wolkenfetzen in das Rotationszentrum hinein. Ein Funnel versuchte den Touchdown, zog sich aber wieder zurück. Die Zelle wurde schwächer, denn wieder ein Stück weiter südwestlich hatte sich eine neue Zelle gebildet. Wir fuhren ihr entgegen. Eine freistehende Mesozyklone mit Inflowband. Die Strukturen wurden löcherig. Doch da! Sie regenerierte sich, und schwächelte wieder. Die Zelle wollte wohl auch nicht so richtig in Fahrt kommen. Weiß Gott weshalb … oder besser gesagt das Radar. Eine andere Zelle südlich von uns reifte zu einer großen Superzelle heran und nahm unserer Zelle wohl die Energie weg und nahm direkt Kurs auf uns. Wir mussten hier weg, mindestens 30 oder 40 Meilen nach Osten, sonst würden wir voll erwischt.

Rechts neben uns graue Status-Suppe. Ohne Radar hätte man niemals vermutet, was da gerade auf uns zukam. Wir gewannen Abstand. Wir konnten uns wieder nach Süden orientieren. Die Zeit schien auszureichen, um vor der Superzelle nach Süden durchzubrechen und sie dann von der Südostseite wieder anzufahren. Darüber hinaus, so rechneten wir uns aus, dürfte die Zeit noch für einen kurzen Stopp für Fotos von der Shelfcloud reichen, die sich westlich von uns ausgebildet hatte. Das nächste Radarbild kam.

Die Superzelle änderte ihre Zugrichtung und zog nun nach NO anstatt nach NNO. Die Zelle kam näher und, rechts von uns wurde es dunkel. Das erste Wetterleuchten im Eisschirm war trotz Tageslicht zu sehen. Das Weather Radio meldete sich zu Wort. Heftiges Gewitter mit Baseballgroßem Hagel bei Elk City. Ein Blick auf die Karte, damit war diese Zelle gemeint! Wir wurden schneller, schneller als erlaubt, Hauptsache raus aus der Zugbahn. Neue Warnung im Weather Radio: Tornadowarnung! Der Puls und Adrenalinpegel stiegen kräftig an.. Noch 10 Meilen bis zur Interstate bei Clinton, noch 5 Meilen noch 2 Meilen. Der Eisschirm war schon längst über uns. Rechts von uns das Flackern der Blitze fast im Sekundentakt. Der Zellkern war vielleicht noch 7 Meilen von uns weg und zog mit knapp 40 Meilen pro Stunde auf uns zu.

Geschafft, Ortseingang Clinton. Jetzt nur keine rote Ampel. Schwein gehabt, grüne Ampel.. Wir bogen links ab. Endlich waren wir auf der Interstate Richtung Osten, raus aus der Zugbahn des Kerns. Der Puls ging langsam wieder runter. Hinter uns pechschwarzer Himmel. Wir konnten unseren Abstand zur Superzelle rasch vergrößern. War das knapp! Ein paar Minuten später und wir wären voll drin gewesen. Aber diese Fluchtroute war von Ansgar und Andreas im Detail durchgerechnet worden und gemäß unser Geschwindigkeit und der Geschwindigkeit der Zelle musste es zeitlich passen. Trotzdem war es eine knappe Kiste.

Wir waren nun vorerst in Sicherheit und fuhren wieder von der Interstate ab. Nur 500 m neben der Auffahrt hielten wir. Was eine atemberaubende Zdelle. Wir spürten den warmen Inflow. Die Wallcloud war gigantisch groß und baute mit rasanter Geschwindigkeit eine Tailcloud nach Norden an. Man konnte die Entwicklung mit bloßem Auge fast wie in einem Zeitraffer erkennen. Über uns Inflowbänder, die wie Rippen eines Skeletts angeordnet waren. Mit leicht zittrigen Fingern versuchten wir unsere Kameras zu bedienen. Plötzlich drehte der Wind von Ost auf Süd. Das Feld im Südwesten verschwand Stück für Stück in einer grauen Wand. Alles sofort einpacken! Erste dicke Tropfen. Keine halbe Minute später lag die Sichtweite bei unter 10 m. Der Wind peitschte den Regen über die Straße. Hagel war glücklicherweise nicht dabei. Auf der Interstate kamen wir schnell wieder aus dem Starkniederschlagsgebiet des RFD (rear flank downdraft) heraus.

Wir nahmen die nächste Ausfahrt. Als wir langsamer wurden, hörten wir schon das Heulen der Tornadosirenen. Gänsehautfeeling. Wir bogen links ab, fuhren ein paar Meter Richtung Norden. Blieben stehen. Schräg links vor uns blitzte es heftig. Komische Absenkung am Horizont!Tornado am Boden, nur weg hier! Noch weit weg, und nur kurz im Dunkeln im Licht der Blitze zu erkennen. Für Fotos aber keine Zeit mehr. Noch mal kurz tanken, um dann endgültig abzuhauen. Doch irgendwie wollte der Computer an der Zapfsäule unsere Kreditkarte nicht erkennen. Auch an den anderen Zapfsäulen ging nix. Offensichtlich wurde der Betrieb durch die Tornadowarnung eingestellt. Die Sirenen heulten immer noch.

Hektik kam auf. „Los! Los! Lasst uns hier abhauen!“, rief Ansgar. Währenddessen kamen langsam zwei Mädchen auf unsere Autos zu. Die beiden schienen mit der Situation irgendwie überfordert zu sein und wollten irgendwas wissen. Aber keine Zeit mehr zu antworten. Türen zu und mit quietschenden Reifen davon. Jetzt begriffen sie wohl auch ohne Antwort den Ernst der Lage. Auf der Auffahrt zur Interstate waren wir nicht alleine. Etliche Chaser wollten nun aus dem Ort abhauen. Auf der Interstate war ein Auto mit uns gleich auf. Die Scheibe ging runter, fragende Blicke. Unsere knappe Antwort: „Tornado on the ground behind us!“ Der Wagen neben uns gab Gas, wir auch. Wir blieben eine ganze Weile auf der Interstate. Erstmal wegkommen von der Zelle, erstmal durchatmen. Der Adrenalinspiegel sank nur langsam wieder auf Normalniveau. Gute 20 Meilen weiter östlich bogen wir dann noch mal Richtung Norden ab. Die Zelle hatte sich etwas abgeschwächt, blitzte aber noch gut.

 

 

Es kamen aber noch weitere Zellen nach. Wir fuhren ihnen entgegen. Sie schlossen sich schnell zu einer Linie zusammen und kamen näher. Besser auf Fotos verzichten und versuchen unbeschadet durchzustoßen, bevor sie noch stärker wurden. Wir fuhren auf die Linie zu. Der Regen setzte ein. Die Sichtweite schrumpfte auf unter 100 m. Erstmal auf dem Seitenstreifen anhalten, Warnblinker einschalten und abwarten. Im Radar wurden plötzlich zwei Rotationszentren direkt vor uns angezeigt. Nächstes Radarbild: Jetzt sogar Rotation direkt über uns. Ein weiterer Adrenalinschub an diesem Tag. Wir beschlossen langsam weiterzufahren. Es blitzte nun überall: vor uns, neben uns, über uns. Der Niederschlag wurde weniger. Aber wir sollten es auch nicht noch weiter herausfordern. Außerdem war es mittlerweile schon nach 23 Uhr, so dass wir uns in Woodward ein Hotel suchten und das Chasing beendeten. Hinter der Linie, die eine Kaltfront darstellte, war es kühl geworden. Das Thermometer zeigte gerade mal noch 10 °C an.

Ein langer, langer Chasingtag mit über 9 Stunden chasen und gechaset werden ging zu Ende. Wir waren alle fix und alle, aber sehr zufrieden. Dieser Tag war für jeden im Team ein Highlight in seinem Chaserleben.